Husten, wir haben ein Problem!

Dieses schrille Klingeln des Weckers! War das schon immer so? Warum habe ich mir dieses grässliche Ding damals eigentlich gekauft? Weil es so schön klein und grün ist? Ich hätte ihn mir eben nicht nur anschauen, ich hätte ihn mir auch anhören sollen. Jetzt quält er mich bereits seit rund drei Jahren, wenn ich mich nicht täusche. Der Mensch gewöhnt sich an alles, heißt es. Aber daran kann ich mich, daran will ich mich nicht gewöhnen. Nicht heute. Nicht jetzt, wo ich spüre, dass eine bleierne Müdigkeit mich noch fest umfangen hält. Mein Herz schlägt Stakkato. Beunruhigend schnell und beunruhigend heftig. Kann das sein, dass das nur durch diesen grässlichen Wecker kommt? Oder steckt nicht noch mehr, noch Schlimmeres dahinter? Mein Schlafanzug ist geradezu klamm, völlig durchgeschwitzt. Gestern war dieser Bericht über den Ebola-Virus im Fernsehen. Die befallenen Menschen, die Kranken, sahen ausgezehrt und furchtbar aus. Aber Ebola in Arnstadt? In der Zeitung stand noch nichts darüber. Ob die hiesigen Ärzte das überhaupt erkennen? Ich habe da so meine Zweifel.

   Ich denke an die Ausarbeitung meiner Präsentation, die ich heute mit Stackelberg besprechen muss. Ein unangenehmer Mensch, dieser Stackelberg. Geht so gar nicht auf das ein, was ich mühsam erarbeite. Weiß alles besser und hält sich für den Größten. Und krank wird der wahrscheinlich nie, jedenfalls habe ich das noch nicht erlebt. Strotzt nur so vor Vitalität und Unerschütterlichkeit. Schrecklich! Schrecklicher Typ, schrecklicher Termin heute. Meine Unlust wächst, meine Kräfte schwinden. Vielleicht ist es doch etwas Ernstes? Dann ist dieser Stackelberg sowas von egal, dann soll der doch mal sehen, wie das ist!

   Ich überlege, mir einen Tee zu machen, aber ich glaube, ich bin zu schwach dazu. Ich bleibe jetzt erst mal liegen und ruhe mich aus. Vielleicht ruft Tessa, die Sekretärin des Chefs, an und erkundigt sich, wo ich bleibe? Ich bleibe hier. Mit Ebola kann man doch nicht einfach so zur Arbeit gehen, mit Ebola ist nicht zu spaßen! Auch wenn ich Stackelberg den einen oder anderen Virus gerne weiterreichen würde. Ich bleibe. Schließe die Augen. Werde müde.

   Ein Anruf von Tessa würde mir jetzt gut tun, meine Lebensgeister wecken. Eigentlich heißt sie ja Theresa, aber das ist ihr zu altmodisch. „Meine Freunde dürfen Tessa sagen“ meinte sie zu mir. Jetzt nenne ich sie Tessa. Wie übrigens alle anderen Kollegen auch.

   Ich bin jetzt zu schwach, um mir das Telefon an das Bett zu holen. Meine Kräfte haben mich verlassen, ich bin matt und wirklich, wirklich völlig erschöpft. Wie die Opfer einer Strahlenüberdosis in Tschernobyl, fällt mir gerade noch ein. Die waren ja zunächst auch äußerlich scheinbar unversehrt, aber die Schädigung steckte schon in ihnen und das bittere Ende folgte unausweichlich. An irgendeine Strahlung kann ich mich jetzt zwar nicht erinnern, aber wer weiß? Man sieht und hört ja nichts, und dann hat es einen auch schon erwischt. 

   Ich spüre, wie meine Kräfte weiter schwinden. Meine Augenlider fallen immer wieder zu und werden von mal zu mal schwerer. Ich glaube, mich hat es wirklich ernsthaft erwischt. Falsch – ich glaube nicht, ich weiß, dass es so ist. Die Lebensgeister weichen von mir …

   Gut dass ich mein Handy hier bei mir habe. Und gut, dass Tessa auch meine Handy-Nr. hat. Sie könnte anrufen … Sie könnte mich retten …

 

Ach, Tessa! … zzzz

(Rüdiger Leis, Januar 2017)