Eigentlich – auch nur ein Wort

Es ist schon traurig. Eigentlich bin ich eine Frohnatur, aber ich und meine Eidgenossen haben seit einiger Zeit Existenzangst. Die Stimmen werden immer lauter, die meinen, wir sollten in der Schublade der Bedeutungslosigkeit verschwinden. Besonders in diesem Schreibkurs will man uns regelrecht ans Messer liefern. Ihr sagt, dass wir nutzlos bzw. überflüssig sind und dass ihr ganz gut auf uns verzichten könntet. Doch eine aus diesem Kurs ist auf unserer Seite und ich bin ihr dankbar, dass sie unsere Gefühle, Ängste und Meinungen zu unserer Daseinsberechtigung zu Papier bringt. Sie will für uns auf die Barrikaden gehen. Nein, das wäre zu viel verlangt.
    Aber lasst euch doch das Wort "Füllwörter" mal auf der Zunge zergehen. Es kommt doch von Fülle und Fülle hat viele Bedeutungen wie Reichtum, Farbigkeit, große Auswahl und vieles mehr. Wir füllen zwar auf, sind aber nicht nur Lückenbüßer, nein, wir verleihen einem Text Leichtigkeit, wir lockern ihn auf, nehmen ihm Härte, wir geben ihm Bewegung und steigern dadurch seinen Wert. Nehmen wir nur unseren Verwandten: die Füllung. Was wäre eine Roulade, ein Rollbraten oder ein Pfannkuchen ohne seine Füllung. Könnt ihr euch das vorstellen?
    Stellt euch vor, der erste Satz eines Romans lautet: Keiner weiß, was eigentlich geschah. Nun ohne mich: Keiner weiß, was geschah. Ist da nur ein Glas Wasser umgefallen? Aber: Keiner weiß, was eigentlich geschah? Eigentlich - ist das nicht der Türöffner in eure Fantasie? Muss da nicht etwas Bedeutendes, etwas Besonderes, Großartiges, Mysteriöses oder Unheimliches passiert sein? Was ist eigentlich passiert? Weckt das Wort "eigentlich" in dieser Frage nicht eure Neugier?
    Ich bin mir nicht sicher, ob ich euch von mir überzeugt habe. Deshalb versuche ich es noch mal anders. Habt ihr es mitbekommen? Jetzt habe ich mich tatsächlich weg gelassen. Ich bin ja nicht größenwahnsinnig, dass ich glaube, ständig verwendet werden zu müssen. Weniger ist manchmal mehr und sparsam verwendet, kann ich das Salz in der Suppe sein. Aber nehmt mich doch mal auseinander. Zwei Silben: eigent- und -lich. Ich bin personenbezogen, sehr eigen eben. Ein Beispiel: Eigentlich möchte ich gern gemütlich auf dem Sofa kuscheln, aber ich überwinde meinen Schweinehund und gehe joggen. Bin ich hier etwa überflüssig? Ja, und -lich: Da gibt doch so herrliche Worte die auf -lich enden wie z.B. köstlich, herrlich, unwiderstehlich, lieblich, um nur einige zu nennen. Bin ich eigentlich weniger hübsch?
    Also, falls ich euch nicht überzeugt habe, dann steckt doch mich und Meinesgleichen in den gelben Sack und haut mich auf den Müll. Dann möchte ich aber nicht mal von euch hören: Ach, eigentlich hätten wir sie doch gern gehabt.

 

Heike Trefflich, 2012